„Ich suche das relativ Gerechtere in dieser Welt.“
Jörg Baumgarten hat 1979 den Westdeutschen Förderkreis mitgegründet und war die ersten sechs Jahre sein Vorsitzender. Wirtschaft und Ethik. Kirche und Geld. Ökonomische Gerechtigkeit. Handeln. Das sind seine Themen. „Ich komme aus einem mittelständischen Unternehmen“, sagt der Theologe. „Mein Vater hat sich 1949 im Werkzeughandel selbständig gemacht. Ich wusste früh, dass man mit konsequenter Arbeit und wirtschaftlichem Handeln auf die Beine kommen kann.“ Baumgarten initiierte den ersten Weltladen in Köln und gründete das Institut für Ökonomie und Ökumene „Südwind“ mit. Er lebt in der in der Nähe von Bonn.
GERECHTIGKEIT
Jörg Baumgarten: Die Genossenschaft ist und bleibt ein wichtiges Lernmodell; ein grandioses Beispiel dafür, dass vernünftig angelegtes Kapital mit relativ gerechten Bedingungen eine Chance hat, positive Veränderungen anzustoßen. Ich bin nicht radikal, ich suche nach dem relativ Besseren in dieser Welt. Meine Leitfrage ist: Was fördert Gerechtigkeit? Wir organisieren nicht das Paradies auf Erden, aber wir haben Spielraum, die wirtschaftlichen Beziehungen gerechter zu machen. Gerechtigkeit ist für mich ein Relationsbegriff, eine Frage von Beziehungen, und gerecht ist es dann, wenn die Beziehungen von allen Akteuren als gerecht empfunden werden.
ARMUT
Jörg Baumgarten: 1975 habe ich zum ersten Mal einen Slum gesehen, Mathare Valley in Nairobi. Es war ein Schock. Eine halbe Million Menschen lebten dort unter Bedingungen, die für mich unfassbar waren. Danach habe ich einmal mehr gewusst, dass Armut nicht mit ein paar Spenden aus der Welt zu schaffen ist. Das Slumgebiet war riesig und nur eins von vielen. Später sah ich bei einer Reise in die Philippinen Smoky Mountains, ein Slumgebiet, in dem damals zwei Millionen Arme lebten. Als „Brot für die Welt“ und „Misereor“ Ende der 1950er Jahre gegründet wurden, hat man ja noch gedacht, das Problem Armut wäre in ein paar Jahren erledigt.
VERTRAUEN
Jörg Baumgarten: Das Thema Geld löst etwas aus. In kirchlichen Kreisen hatte ich in den Anfängen von Oikocredit den Eindruck, es gab da auch ein schlechtes Gewissen. Die Abhängigkeit von der Kirchensteuer. Rücklagen in der Rüstungsindustrie. Man hat sich ethische Fragen ja gerne vom Hals gehalten. Man kann sich nicht mehr vorstellen, wie schwierig es seinerzeit war, das Thema Geld anzusprechen. Auch darum haben wir bei der Gründung des ersten deutschen Förderkreises 1978 sofort beschlossen, dass weitere Förderkreise gegründet werden sollen. Uns war klar, wir müssen dichter bei den Menschen sein. Vertrauen wächst nur Face to Face.
ENTWICKLUNG
Jörg Baumgarten: Wichtige Etappen der Entwicklung des Westdeutschen Förderkreises waren für mich der Umzug aus dem Privatbereich (von Küche und Arbeitszimmer zuhause) ins halbdienstliche mit eigenem Büro in einem Gemeindehaus in Gummersbach; dann die eigene Geschäftsführerin, anfangs nebenberuflich, dann als erste hauptberufliche: Ulrike Chini; schließlich die Geschäftsstelle in Bonn mit wachsendem Mitarbeiter*innenteam. Das ist eine Entwicklung, die am Anfang unvorstellbar war. Ich finde gut, dass die Genossenschaft sich aktuell stärker konzentriert. Das haben wir schon in den Anfängen diskutiert: Kann und muss man wirklich überall hingehen? Was ist wirtschaftlich tragfähig? Aber das Wichtigste ist für mich die dezentrale Struktur, das Grundprinzip der Basisnähe. Davon dürft ihr niemals abrücken.